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Erfolgsfaktor Fachkräfte

Jun 22, 2023

Hohe Lebensqualität, günstiges Steuerniveau, ideale Verkehrslage, effiziente Verwaltung: Dank solcher Standortfaktoren hat Schaffhausen internationale Dienstleister angezogen und die Entwicklung der Hightechindustrie ermöglicht. Wird jetzt der Fachkräftemangel zum Bremsklotz? Dazu äussern sich die Unternehmen Georg Fischer (GF), Medipack und BBC Bircher.

Der Arbeits- oder Fachkräftemangel hat in der Gastronomiebranche und im Bausektor voll urchgeschlagen. Auch im Gesundheitswesen sind Spitäler und Heime am Anschlag. Und quer durch den Dienstleistungssektor werden händeringend Arbeitskräfte gesucht. In der Schweiz und darüber hinaus. Denn ganz Europa leidet unter der Demographie: Die geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegszeit, die Babyboomer-Generation, gehen in Rente. Übernehmen müssten jetzt die Jungen, doch deren Zahl reicht nicht aus, um alle Lücken zu füllen. So weit das Gesamtbild. Wie aber steht es um die Hightechindustrie, die sich in Schaffhausen in den vergangenen zwei Jahrzehnten erfolgreich entwickeln konnte? Christoph Schärrer, Delegierter für Wirtschaftsförderung des Kantons Schaffhausen, weiss: «Die Verfügbarkeit von Fachkräften war und ist ein zentraler Standortfaktor.»

Und Schaffhausen wirbt mit dem Argument, dass «der lokale Talentpool ansiedlungswilligen Unternehmen den Zugang zu erfahrenen Arbeitskräften sichert». Die Wirtschaftsförderung unterstützt die Firmen deshalb mit der Verbesserung von Rahmenbedingungen und gezielten Einzelmassnahmen, damit sie genügend erfahrene Top-Fachkräfte wie auch gut ausgebildete Produktionsmitarbeitende finden. Dazu gehören Regional-Employer-Branding-Massnahmen wie Promotion, Events für den Karrierestart, Vernetzungsangebote für neue Mitarbeitende oder Informationsangebote.

Wie angespannt ist die Lage?

Ist die Situation für die hiesigen Industriebetriebe ähnlich bedrohlich wie in anderen Branchen? Heini Meier, zuständig für Employer Branding und Recruiting bei GF, stellt für den Standort Schaffhausen fest: «Wir sind zwar damit konfrontiert, dass viele Mitarbeitende in Pension gehen. Doch in Schaffhausen profitieren wir von unserem hohen Bekanntheitsgrad. Dagegen ist es in Deutschland und den USA schwieriger, Stellen in der Maschinenwartung oder Servicetechnik mit qualifizierten Leuten zu besetzen.»

Jüliyet Schwörer, die Personalentwicklerin bei Medipack, sieht einen markanten Unterschied zur Situation vor fünf Jahren: «Der Fachkräftemangel ist akut. Auf unsere Stelleninserate erhalten wir manchmal tagelang keinerlei Echo!» Auch laut Monika Zwahlen von BBC Bircher in Beringen hat die Resonanz auf Stellenausschreibungen nachgelassen. Nicht nur bei den Fachkräften, sondern bereits bei den Bewerbungen auf Lehrstellen, beispielsweise für Elektroniker oder Informatiker. 

Doch die gute Nachricht ist: Der Fachkräftemangel in der Schaffhauser Industrie hat sich bisher nicht als Bremsklotz erwiesen. «Wir konnten noch immer alle Aufträge ausführen», betont Medipack-Chef Reto Artusi. Bei GF und BBC Bircher teilt man diese Einschätzung. Der Grund dafür: Die drei Betriebe loten laufend neue Wege aus, um neue Mitarbeitende zu gewinnen und bisherige möglichst lange zu halten. Unterstützt werden sie dabei auch von der Schaffhauser Wirtschaftsförderung.

«Teilzeit ist ein Megatrend. Bei unseren Büro-Mitarbeitenden versuchen wir so weit wie möglich darauf einzugehen.»

Reto Artusi, Geschäftsführer, Medipack



Einfach mehr arbeiten?

Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) hat im April 2023 seine Rezepte gegen den Mangel an Arbeitskräften vorgelegt. An erster Stelle steht die Erhöhung der Arbeitszeit. Daneben fordert der Verband die Lockerung der heutigen Arbeitszeitregelungen und denkt über flexible Möglichkeiten nach, um Arbeitskräfte über das AHV-Alter hinaus zu beschäftigen. Obwohl in der Studie gar nicht genannt, machen Reizbegriffe wie 60-Stunden-Woche oder Rentenalter 70 die Runde. Die Gewerkschaften empfinden Denkanstösse in diese Richtung als provokativ. Wären Sie für die drei Schaffhauser Unternehmen trotzdem ein gangbarer Weg?

Fachkräfte über das Rentenalter hinaus im Betrieb zu behalten, projektbezogen oder in kleineren Pensen, ist längst gängige Praxis – allerdings auf freiwilliger Basis: «Vor Kurzem haben wir einen Mitarbeiter zum vierten Mal pensioniert», lacht Artusi. An Angeboten für Fachkräfte, über das Pensionsalter hinaus tätig zu bleiben, arbeiten auch GF und BBC Bircher. Monika Zwahlen sagt: «Bei uns geht es nicht zuletzt darum, dass eine Weiterbeschäftigung Know-how retten kann. Beispielsweise wenn jemand auf ein älteres Produkt spezialisiert ist, mit dem sich sonst niemand mehr auskennt.»

Doch von einer generellen Erhöhung der Arbeitszeit halten die drei Unternehmen wenig. «Der Jobmarkt hat gedreht. Wir müssen heute stärker auf die privaten Wünsche unserer Mitarbeitenden Rücksicht nehmen», sagt Jüliyet Schwörer. Und da steht eine ausgewogene Work-Life-Balance und Zeit für die Familie im Vordergrund. Teilzeit sei ein Megatrend, ergänzt Artusi: «Bei unseren Büro-Mitarbeitenden versuchen wir, wo immer möglich, auf die Teilzeit-Wünsche einzugehen. In unserer Produktion mit Drei- Schicht-Betrieb ist das aber eher schwierig und muss fallweise angeschaut werden.» 

Dass die Erhöhung der individuellen Arbeitsvolumina kaum die Patentlösung sein kann, bestätigt eine neue Studie der UBS, die auf einer Umfrage bei 2500 Schweizer Betrieben basiert. Die beiden Verfasser Daniel Kalt und Alessandro Bee kommen zum Schluss, dass immer mehr Fachkräfte unter Überlastung leiden. Das sei eine langfristige Gefahr für die Innovationsfähigkeit der hiesigen Wirtschaft, halten die beiden Ökonomen fest.

Ennet der Grenze rekrutieren?

Wäre die Rekrutierung im Ausland der Königsweg, um den Bedarf an Fachkräften zu decken? «Die Schweiz ist nach wie vor ein attraktiver Arbeitsstandort, und wir lassen die Nachbargebiete natürlich nicht aus den Augen», sagt Christine Fink, Head of Talent Management and Employer Attractiveness bei GF Piping Systems. Aber die Anwerbung über die Grenze hinweg hat keine höhere Priorität. Weil der Arbeitsmarkt im Nachbarland ebenso angespannt ist wie hierzulande, meint Monika Zwahlen von BBC Bircher: «Wir rekrutieren schon immer im Grossraum Schaffhausen und beschäftigen darum auch Grenzgänger. Wir haben auch in der aktuellen Situation keine zusätzlichen Aktivitäten für den deutschen Raum.» Noch klarer wird Medipack-Chef Reto Artusi: «Nur bei den wenigen Jobprofilen, die wir hier nicht finden können, schauen wir über die Grenze. Aber das ist die Ausnahme. Sonst rekrutieren wir fast alle unsere Arbeitskräfte lokal. Nicht zuletzt auch, weil ein kurzer Arbeitsweg für die Firmentreue und eine gesunde Work-Life-Balance wichtige Faktoren sind.»

«Bei uns geht es nicht zuletzt darum, dass eine Weiterbeschäftigung Know-how retten kann.»

Monika Zwahlen, Head of Human Ressources BBC Bircher Smart Access



Automatisierung als Ausweg?

Für Christine Fink können Automatisierung und künstliche Intelligenz zu Anpassungen bei gewissen administrativen oder Support-Prozessen führen: «In der Produktion sind wir schon sehr weit automatisiert und digitalisiert.» Ähnlich tönt es bei BBC Bircher, doch Monika Zwahlen merkt an, man brauche auch nach einer Prozessautomatisierung Fachkräfte, wenn auch oft andere. 

Anders ist die Situation bei Medipack, wo die Spezialisierung der Produkte zunimmt und die Stückzahlen deshalb kleiner werden. Statt auf Automatisierung fokussiert die Firma daher stark auf die Verbesserung der Arbeitsabläufe. «Im administrativen Bereich gibt es dank der Digitalisierung noch Luft nach oben. Dafür sind wir offen, legen aber Wert darauf, den Faktor Mensch nicht wegzudenken», sagt Jüliyet Schwörer.

«In der Produktion sind wir schon sehr weit automatisiert und digitalisiert.»

Christine Fink, Head of Talent Management and Employer Attractiveness GF Piping Systems 


Welche Strategie steht im Vordergrund?

«Wir wollen unsere Unternehmenskultur weiterentwickeln», sagt Heini Meier, «sodass alle Mitarbeitenden ihr volles Potenzial entfalten können». Damit das nicht leere Worte bleiben, hat GF auf Konzernebene ein Dutzend Initiativen gestartet, um eine neue Firmenkultur mit einem vielfältigen, inklusiven Arbeitsumfeld zu schaffen. «So haben wir einen ‹Mystery Coffee› eingeführt, halbstündige, manchmal virtuelle Treffen. Das ermöglicht unseren Mitarbeitenden Einblicke in andere Jobs und Kulturen weltweit.» Ein weiteres Beispiel ist eine Best-Practice-Initiative, an der sich rund um den Globus alle Mitarbeitenden beteiligen und Preise gewinnen können. «Eines der wichtigsten Kriterien für die Wahl des Arbeitgebers ist bei jüngeren Leuten aber die Nachhaltigkeit. Und da können wir zusätzlich zur entsprechenden Unternehmenskultur mit Produkten wie unseren innovativen Rohrleitungssystemen, Leichtgussteilen für Elektrofahrzeuge oder energiesparenden Werkzeugmaschinen überzeugen.»

Kleinere und mittlere Betriebe haben naturgemäss weniger Ressourcen für ein systematisches «Employer Branding». Dafür können sie andere Trümpfe ins Spiel bringen: die überschaubare Grösse, kurze Wege, flache Hierarchien und eine familiäre Atmosphäre. Auch für Jüliyet Schwörer ist klar: «Nachwuchskräfte suchen sich die Unternehmen heute nach ihren Werten aus. Das müssen wir berücksichtigen und ausserdem dort präsent sein, wo sich Job-Kandidaten aufhalten, primär auf den neuen Social-Media-Plattformen und auch an den Hochschulen.» Diese Fokussierung der Präsenz ist auch für Monika Zwahlen wichtig: «Weiter weiten wir den Radius geografisch aus», ergänzt sie. Das funktioniere gut, seit Arbeiten von zu Hause aus in vielen Funktionen möglich ist. Wohnortswechsel seien dagegen selten, denn die sozialen Bindungen wolle kaum jemand aufgeben. «Deshalb schätzen wir es, dass sich Schaffhausen aktiver als andere Kantone als Wirtschaftsund Arbeitsstandort positioniert. Das hat viel bewirkt.» 

Positiv bewerten alle drei Unternehmen die Verkehrsanbindung, die der Kanton im Lauf der letzten Jahre stark verbessert hat. «Zwar besteht der Sog nach Zürich weiter, doch viele Arbeitnehmende fahren heute in die Gegenrichtung zu uns», beobachtet Heini Meier. Und bei internationalen Fachkräften könne die Region mit der Naturnähe, dem breiten Freizeit- und Wohnungsangebot und der guten Erreichbarkeit punkten. «Insgesamt sind die Schweiz und Schaffhausen als Arbeitsstandort für Fachkräfte noch immer erste Wahl.» 

Regional Employer Branding

Die Verfügbarkeit von Fachkräften ist ein zentraler Standortfaktor für Unternehmen. Die Wirtschaftsförderung unterstützt mit verschiedenen Initiativen das Angebot und die Bekanntheit der Region als Arbeitsort:

  • Positionierung und Promotion von Schaffhausen als Arbeits- und Lebensregion mit attraktiven Jobangeboten
  • Organisation von Karriere-Events für junge Talente
  • Netzwerkanlässe, Welcome-Packages sowie Buddy-Programm für neue Arbeitnehmende in der Region
  • «Female-Leaders-Initiative» für mehr Frauen im Arbeitsleben
  • Informationsseite über das einmalige Schaffhauser Arbeits- und Wohnangebot
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